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Der Graf von Tunis



Der Graf von Tunis

von Eva-Maria Haynes

Leseprobe aus Kapitel  1

Copyright beim Verlag



Voller Wut hallte die Stimme des Königs durch den Saal. „Dieser Emporkömmling! Dieser Usurpator! König Tankred - das ist lachhaft! Ein Bastard ist er und sonst nichts.“ In der nächsten Sekunde sauste seine Faust auf die schwere Eichenplatte. Heinrichs Frau Konstanze zuckte zusammen und rettete ihren wertvollen Trinkpokal vor einem Sturz. Der Wutausbruch des Staufers war aber erst am Anfang. Mit hochrotem Kopf sprang er auf und stieß dabei so heftig gegen seinen Sessel, dass das schwere Möbelstück polternd auf den Boden krachte.
„Dieser dahergelaufene Niemand macht Uns Unsere Ansprüche auf den Thron ...“, Heinrich warf einen kurzen Seitenblick auf seine Frau, „... nicht streitig.“ Noch viele Atemzüge lang gingen dem König die Beschimpfungen nicht aus. Konstanze starrte stumm vor sich hin. Nach einer schieren Ewigkeit holte Heinrich tief Luft und winkte einen Diener herbei, der sofort zum Sessel stürzte, ihn aufrichtete und unter seinen Herrscher schob. Mit einem Seufzer ließ sich Heinrich nieder. „Verzeiht, meine Liebe.“ Der König nahm die Hand seiner Gemahlin. „Wir wissen, Ihr trauert um Euren Neffen. Dieses rasche Ende hat er nicht verdient. Aber Wir wissen auch, dass es um Wilhelms Gesundheit nicht zum Besten stand.“ Konstanze lächelte schwach und entzog Heinrich ihre Hand. Sie glaubte nicht einen Moment, dass sich ihr Mann für ihre Gefühle interessierte. Sie schwieg weiter. Drei Jahre zuvor war Konstanze dem wesentlich jüngeren Staufer zur Frau gegeben worden. Das war aus rein politischen Motiven geschehen, weil ihre Abstammung aus dem sizilianischen Königshaus einen Erbschaftsanspruch auf den Thron bedeutete. Von Liebe und Zuneigung konnte nicht die Rede sein. Konstanze war auch zu alt. Es hätte eines Wunders bedurft, wenn sie mit ihren bald dreiunddreißig Lenzen überhaupt noch dem erhofften Erben das Leben schenken würde.

Diether von Katzenelnbogen wartete den königlichen Zornausbruch mit stoischer Ruhe ab. Er konnte die Dinge nicht ändern, er war nur gezwungen das wiederzugeben, was im Schreiben des königstreuen Grafen Roger von Andria stand. Heinrich wedelte ungeduldig mit der Hand in Richtung seines Kanzlers. „Nun, fahrt fort, Diether. Welche Rolle hat Mattheus von Salerno, dieser angebliche Vertraute von Wilhelm, bei diesem schändlichen Verrat gespielt?“ Diether brauchte den Brief für die richtige Antwort nicht zu konsultieren.
„Der Vizekanzler hat die Mehrheit der Barone davon überzeugen können, die Verträge von einst, die Euren Anspruch bezeugen ..“, Diether räusperte sich verlegen, „... außer Acht zu lassen.“ Heinrichs Kopf fuhr hoch. „Wieso haben diese Schwachköpfe denn auf ihn gehört?“, fragte er aufbrausend.
„Graf Roger meint, dass die letzten Unruhen in Apulien die Barone zur Überzeugung gebracht haben, dass ein starker Mann vor Ort gebraucht wird.“
Konstanze sog hörbar die Luft ein und wappnete sich gegen einen weiteren Zornausbruch ihres Mannes, doch Heinrich blieb völlig ruhig. Überrascht wagte sie einen Seitenblick auf den König. Er hatte die linke Hand aufgestützt und strich sich über den gepflegten Bart. Mit einem Lächeln wandte er sich seiner Gemahlin zu. „Nun, meine Liebe, so wie es aussieht, werdet Ihr Eure Heimat sehr bald wieder betreten.“ Heinrich erhob sich und wandte sich seinem Kanzler zu. Er wartete ab, bis wieder Ruhe eingekehrt war, nachdem sämtliche Untertanen aufgesprungen waren. „Mein guter Kanzler“, begann der König aufgeräumt. „Die werten Herrn Barone in Sizilien werden noch sehen, dass Tankred nicht der Mann ist, auf den sie setzen sollten.“
Der König deutete eine Verbeugung in Richtung seiner Gattin an und verließ die Halle, dicht gefolgt von Diether, der Rogers Schreiben vor sich hertrug, als handle es sich um eine giftige Schlange.
Konstanze sank in ihren Sessel zurück und griff sich müde an die Stirn. Sofort trat ihre Zofe vor. „Ist Euch nicht wohl, Herrin ?“ Die Königin seufzte und schüttelte leicht den Kopf. „Gerade erst musste er den Feldzug gegen Heinrich, den Löwen, abbrechen“, sagte sie mehr zu sich selbst, als zu ihrer Kammerfrau. „Und nun steht uns eine Auseinandersetzung um Sizilen bevor.“
Die Königin erhob sich und strich über ihr wertvolles Kleid. Doch die Falten, die sie glätten wollte, ließen sich mit dieser einfachen Geste nicht fortschicken. Konstanze wollte ihrem Gemahl nicht noch einmal begegnen und verließ die große Halle durch den hinteren Ausgang. Auf dem Weg nach draußen, fiel ihr Blick auf das staufische Wappen, das an der Rückwand des Repräsentationsraumes prangte. Mit Wehmut dachte sie an ihren Schwiegervater. „Ausgerechnet jetzt, wo Friedrich auf dem Kreuzzug ist, musste Wilhelm sterben“, murmelte sie im Gehen zu sich selbst. „Und was wird dem Löwen wohl alles einfallen, wenn wir tatsächlich den weiten Weg nach Sizilien auf uns nehmen?“ Die Königin ignorierte ihre Zofe, die um sie herumschwirrte und stieß die Tür zu ihren Gemächern selbst auf. Mit wehenden Kleidern betrat sie ihr liebevoll eingerichtetes Zimmer.Konstanze hasste diese Reichsburg noch mehr als alle anderen staufischen Besitztümer. Dortmund war eine der nördlichst gelegenen Pfalzen und an keinem Ort der Welt wollte sie sich weniger aufhalten. Um der Kälte von Land und Leuten entgegenzuwirken, hatte Konstanze besonders auf eine Einrichtung mit Möbeln, Stoffen und Gegenständen aus ihrer Heimat bestanden. Doch in ihrem Gemütszustand ließ sie sich selbst von den schönsten Dinge nicht beruhigen. Mit geballten Fäusten sah Konstanze zur Decke. „Wenn ich nur etwas ausrichten könnte!“ Aufgebracht wirbelte sie herum. Ihre Zofe fuhr erschrocken zurück, aber die Wut der Herrin galt nicht der braven Frau, sondern der eigenen Ohnmacht.

„Wie lange braucht es, bis Wir ein ordentliches Heeresaufgebot haben?“ Heinrich saß in seinem Besprechungszimmer und trommelte ungeduldig mit den Fingern auf den Tisch. Diether wippte kurz mit den Zehen auf und  ab. Er formulierte seine Antwort vorsichtig: „Die meisten tüchtigen Männer aus dem Reich haben den Kaiser ins Heilige Land begleitet.“ Der König stoppte augenblicklich sein Getrommel. „Heißt das, Wir haben nur die zweite Wahl bei Uns?“ Der Kanzler wand sich wie ein Aal und hob zögernd drei Finger. Heinrich starrte Katzenelnbogen an, als wäre ihm gerade eine riesige Warze gewachsen. Er wollte etwas sagen, aber aus seiner Kehle kam nicht mehr als ein unwilliger Grunzlaut. Mit einem Seufzer ließ er sich auf die Rückenlehne zurückfallen.
„Diese Situation gefällt Uns nicht.“ Entnervt strich sich der König über den Bart.
Diether deutete mit fragendem Gesichtsausdruck auf den Sessel neben seinem Herrn. Heinrich wedelte ungeduldig mit der Hand. „Ja, ja. Nun setzt Euch doch. Und reicht Uns den unseligen Brief von Roger.“ Der Kanzler nahm Platz, überreichte dem König die Unglücksbotschaft und holte einen großen Bogen Pergament zu sich, auf dem das Reich der Staufer penibel kartographiert war. Die dicke Linie zwischen dem Herzogtum Spoleto und den Fürstentümern Capua, Benevento und Salerno schien vor seinen Augen mehr und mehr zu wachsen, statt endlich ganz zu verschwinden.
Heinrich war in das Schreiben des Grafen von Andria vertieft. „An der Reichsgrenze ...“, der König sah auf und tippte auf Benevento, „... scheint alles ruhig zu sein, aber es gab es mehrere Zusammenstösse zwischen Unseren Getreuen und den neuerdings verirrten Seelen in Apulien.“ Der König nahm sein Getrommel wieder auf. „Wir müssen Unseren treuen Freund Roger unbedingt unterstützen, damit die Barone gleich in die Schranken gewiesen werden.“ Heinrichs Blick wanderte die Karte Richtung Norden hinauf. Er verzog sein Gesicht unwillig und grummelte: „Doch solange der Löwe nicht wie ein waidwundes Tier in seiner Höhle verschwindet, können Wir diese Gebiete nicht verlassen.“ Von Katzenelnbogen räusperte sich. Heinrich hob den Kopf und sah seinen Kanzler so finster an, dass dieser unruhig hin und her zu wetzen begann. Der König schnaufte abfällig. „Ihr kommt Uns jetzt wahrscheinlich wieder mit den gleichen Einfällen?“, fragte er spitz.
Diether lächelte schwach. „Ja, mein Gebieter. Wenn Ihr den hiesigen Adel für Euch gewinnen könnt, habt Ihr freie Hand für Eure Aufgaben in Sizilien.“ Der König zog die Augenbrauen noch mehr zusammen und presste die Lippen aufeinander. Seine Miene ließ wenig Zweifel an seiner schlechten Meinung über die Vorschläge seines engsten Beraters. „Und Ihr, Kanzler, seid der unumstösslichen Meinung, dass sich der Adel mit ein paar Zugeständnissen überzeugen lässt und sich gegen den Welfen stellt?“ Diether rückte sich in seinem Sessel zurecht und nickte wie ein aufmerksamer Schüler.
„Euer Gegner hat wenig in der Hand, mein Gebieter. Nicht nur, dass er gegen Reichsrecht verstossen hat und früher aus der Verbannung zurückgekehrt ist, als es ihm Euer Vater gestattet hatte. Er kann von allen Seiten nur mit wenig Unterstützung rechnen. Ihr indes verfügt über einige Privilegien im Herzogtum, die Ihr nun für Euren Bedarf einsetzen mögt.“
Heinrich verzog das Gesicht, als hätte er Zahnschmerzen. „Diether!“, herrschte er den Kanzler an. „Ihr wisst doch, dass es um die königliche Kasse schlecht bestellt ist. Wenn Wir nun Pfründe an diese Hanswurst-Ritter vergeben, dann trifft Uns das empfindlich.“
Heinrich hielt seine Hände vor sich wie ein Bittsteller um Almosen, um seine wirtschaftliche Misere zu unterstreichen. Der Kanzler presste die Lippen aufeinander und zwang tapfer einen Lachanfall nieder. Zum einen war Heinrich alles andere als schlecht begütert und der Adel aus dem Norden war alles andere als eine Truppe von Jahrmarkttandlern. Ganz im Gegenteil. Wenn alle diese Gefolgsleute gezielt gegen den Welfen eingesetzt werden konnten, kam das wahrscheinlich billiger als die Mühe um eigene militärische Erfolge oder Misserfolge, die in letzter Zeit häufig vorgekommen waren. Diether beschloss zu schweigen und starrte auf die Landkarte. Die Strecke zwischen ihrem jetzigen Aufenthaltsort und Palermo, wo die Könige von Sizilien residierten, war unendlich weit und mit Hindernissen gepflastert.
Die ganze Reise würde mehrere Monate in Anspruch nehmen. Es würde nicht genügen bis nach Aquileja in der Mark Verona zu reisen, um dann ein Schiff nach Palermo zu besteigen. Der König von Italien, der mit finsterer Miene vor ihm saß, war dazu verpflichtet, allen wichten Städten Reverenz zu erweisen. Mailand, Cremona, Parma, Modena, Genoa, Pisa, Florenz ... 
Diethers Augen folgten dem vorhersehbaren Zick-Zack-Kurs auf der Landkarte. Nur mit Mühe konnte er ein Aufstöhnen unterdrücken.
„Ihr steht Uns nun schon viele Jahr zur Seite.“ Heinrichs Stimme riss Diether aus seinen Überlegungen. Katzenelnbogen war sofort auf der Hut. Wollte ihn der König aus seinen Diensten entlassen? Heinrich lächelte aber milde. „Wir geben gerne zu, dass Ihr in Euren Einschätzungen nie gefehlt habt. Aber ...“, der König kniff die Augen zusammen, „... Wir haben auch gelernt, dass sich Uns Eure Gedanken offenbaren, wie ein plapperndes Weib!“ Heinrich hob seine Augenbrauen und schenkte seinem Kanzler einen belustigten Blick. Diether war knallrot angelaufen und wusste nicht, ob er sich ärgern oder beleidigt sein sollte. Der junge König lachte schallend. Er beugte sich vor und zog die Karte zu sich. Über den Ländereien, die sich seiner Herrschaft noch entzogen, spreizte er die rechte Hand. „Wir wissen selbst, dass Wir wahrscheinlich jede Gott verdammte Stadt erobern müssen.“ Heinrich lehnte sich zurück und blies die Luft aus. „Das kann lange dauern ...“ Der König brach den Satz ab und behielt den Rest für sich. Noch war die Zeit nicht gekommen, jemanden in seine weitreichenden Pläne einzuweihen. Heinrich war felsenfest davon überzeugt, dass er der lang herbeigesehnte Friedenskaiser war. Es war seine erlauchte Aufgabe, alle Reiche des Ostens und des Westens wieder zusammenzuführen. Alle Juden würden unter seiner Führung zum Christentum bekehrt und die Heiden im Heiligen Land endgütlig besiegt. Alle Völker würden zu ihm aufblicken, während er die Menschheit auf die Ankunft des Jüngsten Gericht vorbereitete und Palermo war der Sitz, den er sich für seine Weltherrschaft auserkoren hatte.
Mit einiger Mühe zwang Heinrich seine Gedanken zurück in die Gegenwart. „Wie weit ist Unser Marschall mit seinen Aufgaben?“, fragte der König ohne den Blick von der Küste Nordafrikas und Byzanz zu nehmen. Der Kanzler hatte sich wieder im Griff und antwortete mit fester Stimme: „Marschall Testa ist mit dem Abbau der letzten ... äh ... Belagerung fertig und wartet auf Eure Befehle.“ Heinrich knirschte verärgert mit den Zähnen. Nun waren seine Gedanken endgültig zurück bei den dringendsten Angelegenheiten: der Welfe. Heinrich war der Erzfeind des Kaisers und der allgegenwärtige Albtraum des Staufergeschlechts. Er ließ keine Gelegenheit aus, seine angeblichen Ansprüche auf den Reichsthron anzumelden. Widerwillig musste Heinrich seinem Kanzler Recht geben. Wenn er den Adel auf den Welfen hetzte, konnte er sich wieder seinen höheren Zielen widmen, anstatt sich hier im kalten Norden herumzuärgern. „Sollen doch die anderen die Drecksarbeit machen“, murmelte Heinrich vor sich hin. Der Kanzler schreckte auf. „Verzeiht, mein Gebieter. Ich habe Euch nicht recht verstanden.“
Der König lachte leise. „Doch, doch. So glauben Wir.“ In seinen Augen blitzte es auf. „Hier also Unser Beschluss in Vertretung Unseres Vaters, des erlauchten Kaisers: Nehmt Kontakt zu den in Frage kommenden Adeligen auf ...“, Heinrich wartete bewusst ab, um zu sehen, wie breit das Grinsen seines Kanzlers ausfiel, „... und gewinnt sie für Unsere Seite. Unserem treuen Freund Roger schicken wir Heinrich Testa mit einem kleinen Aufgebot zur Unterstützung. Wir sind sicher, dass der werte Marschall den Winter lieber in wärmeren Gefilden zubringt. Wir dagegen begeben uns nach Augsburg, wo Wir mit Sicherheit Leute erster Wahl finden, die Uns nach Sizilen begleiten.“ Mit einer leichten Bewegung der linken Hand entließ König Heinrich seinen Kanzler.