Voller
Wut hallte die Stimme des Königs durch den Saal. „Dieser
Emporkömmling! Dieser Usurpator! König Tankred - das ist
lachhaft! Ein Bastard ist er und sonst nichts.“ In der
nächsten Sekunde sauste seine Faust auf die schwere Eichenplatte.
Heinrichs Frau Konstanze zuckte zusammen und rettete ihren wertvollen
Trinkpokal vor einem Sturz. Der Wutausbruch des Staufers war aber erst
am Anfang. Mit hochrotem Kopf sprang er auf und stieß dabei so
heftig gegen seinen Sessel, dass das schwere Möbelstück
polternd auf den Boden krachte.
„Dieser dahergelaufene Niemand macht Uns Unsere Ansprüche
auf den Thron ...“, Heinrich warf einen kurzen Seitenblick auf
seine Frau, „... nicht streitig.“ Noch viele Atemzüge
lang gingen dem König die Beschimpfungen nicht aus. Konstanze
starrte stumm vor sich hin. Nach einer schieren Ewigkeit holte Heinrich
tief Luft und winkte einen Diener herbei, der sofort zum Sessel
stürzte, ihn aufrichtete und unter seinen Herrscher schob. Mit
einem Seufzer ließ sich Heinrich nieder. „Verzeiht, meine
Liebe.“ Der König nahm die Hand seiner Gemahlin. „Wir
wissen, Ihr trauert um Euren Neffen. Dieses rasche Ende hat er nicht
verdient. Aber Wir wissen auch, dass es um Wilhelms Gesundheit nicht
zum Besten stand.“ Konstanze lächelte schwach und entzog
Heinrich ihre Hand. Sie glaubte nicht einen Moment, dass sich ihr Mann
für ihre Gefühle interessierte. Sie schwieg weiter. Drei
Jahre zuvor war Konstanze dem wesentlich jüngeren Staufer zur Frau
gegeben worden. Das war aus rein politischen Motiven geschehen, weil
ihre Abstammung aus dem sizilianischen Königshaus einen
Erbschaftsanspruch auf den Thron bedeutete. Von Liebe und Zuneigung
konnte nicht die Rede sein. Konstanze war auch zu alt. Es hätte
eines Wunders bedurft, wenn sie mit ihren bald dreiunddreißig
Lenzen überhaupt noch dem erhofften Erben das Leben schenken
würde.
Diether von Katzenelnbogen wartete den königlichen Zornausbruch
mit stoischer Ruhe ab. Er konnte die Dinge nicht ändern, er war
nur gezwungen das wiederzugeben, was im Schreiben des königstreuen
Grafen Roger von Andria stand. Heinrich wedelte ungeduldig mit der Hand
in Richtung seines Kanzlers. „Nun, fahrt fort, Diether. Welche
Rolle hat Mattheus von Salerno, dieser angebliche Vertraute von
Wilhelm, bei diesem schändlichen Verrat gespielt?“ Diether
brauchte den Brief für die richtige Antwort nicht zu konsultieren.
„Der Vizekanzler hat die Mehrheit der Barone davon
überzeugen können, die Verträge von einst, die Euren
Anspruch bezeugen ..“, Diether räusperte sich verlegen,
„... außer Acht zu lassen.“ Heinrichs Kopf fuhr hoch.
„Wieso haben diese Schwachköpfe denn auf ihn
gehört?“, fragte er aufbrausend.
„Graf Roger meint, dass die letzten Unruhen in Apulien die Barone
zur Überzeugung gebracht haben, dass ein starker Mann vor Ort
gebraucht wird.“
Konstanze sog hörbar die Luft ein und wappnete sich gegen einen
weiteren Zornausbruch ihres Mannes, doch Heinrich blieb völlig
ruhig. Überrascht wagte sie einen Seitenblick auf den König.
Er hatte die linke Hand aufgestützt und strich sich über den
gepflegten Bart. Mit einem Lächeln wandte er sich seiner Gemahlin
zu. „Nun, meine Liebe, so wie es aussieht, werdet Ihr Eure Heimat
sehr bald wieder betreten.“ Heinrich erhob sich und wandte sich
seinem Kanzler zu. Er wartete ab, bis wieder Ruhe eingekehrt war,
nachdem sämtliche Untertanen aufgesprungen waren. „Mein
guter Kanzler“, begann der König aufgeräumt. „Die
werten Herrn Barone in Sizilien werden noch sehen, dass Tankred nicht
der Mann ist, auf den sie setzen sollten.“
Der König deutete eine Verbeugung in Richtung seiner Gattin an und
verließ die Halle, dicht gefolgt von Diether, der Rogers
Schreiben vor sich hertrug, als handle es sich um eine giftige
Schlange.
Konstanze sank in ihren Sessel zurück und griff sich müde an
die Stirn. Sofort trat ihre Zofe vor. „Ist Euch nicht wohl,
Herrin ?“ Die Königin seufzte und schüttelte leicht den
Kopf. „Gerade erst musste er den Feldzug gegen Heinrich, den
Löwen, abbrechen“, sagte sie mehr zu sich selbst, als zu
ihrer Kammerfrau. „Und nun steht uns eine Auseinandersetzung um
Sizilen bevor.“
Die Königin erhob sich und strich über ihr wertvolles Kleid.
Doch die Falten, die sie glätten wollte, ließen sich mit
dieser einfachen Geste nicht fortschicken. Konstanze wollte ihrem
Gemahl nicht noch einmal begegnen und verließ die große
Halle durch den hinteren Ausgang. Auf dem Weg nach draußen, fiel
ihr Blick auf das staufische Wappen, das an der Rückwand des
Repräsentationsraumes prangte. Mit Wehmut dachte sie an ihren
Schwiegervater. „Ausgerechnet jetzt, wo Friedrich auf dem
Kreuzzug ist, musste Wilhelm sterben“, murmelte sie im Gehen zu
sich selbst. „Und was wird dem Löwen wohl alles einfallen,
wenn wir tatsächlich den weiten Weg nach Sizilien auf uns
nehmen?“ Die Königin ignorierte ihre Zofe, die um sie
herumschwirrte und stieß die Tür zu ihren Gemächern
selbst auf. Mit wehenden Kleidern betrat sie ihr liebevoll
eingerichtetes Zimmer.Konstanze hasste diese Reichsburg noch mehr als
alle anderen staufischen Besitztümer. Dortmund war eine der
nördlichst gelegenen Pfalzen und an keinem Ort der Welt wollte sie
sich weniger aufhalten. Um der Kälte von Land und Leuten
entgegenzuwirken, hatte Konstanze besonders auf eine Einrichtung mit
Möbeln, Stoffen und Gegenständen aus ihrer Heimat bestanden.
Doch in ihrem Gemütszustand ließ sie sich selbst von den
schönsten Dinge nicht beruhigen. Mit geballten Fäusten sah
Konstanze zur Decke. „Wenn ich nur etwas ausrichten
könnte!“ Aufgebracht wirbelte sie herum. Ihre Zofe fuhr
erschrocken zurück, aber die Wut der Herrin galt nicht der braven
Frau, sondern der eigenen Ohnmacht.
„Wie lange braucht es, bis Wir ein ordentliches Heeresaufgebot
haben?“ Heinrich saß in seinem Besprechungszimmer und
trommelte ungeduldig mit den Fingern auf den Tisch. Diether wippte kurz
mit den Zehen auf und ab. Er formulierte seine Antwort
vorsichtig: „Die meisten tüchtigen Männer aus dem Reich
haben den Kaiser ins Heilige Land begleitet.“ Der König
stoppte augenblicklich sein Getrommel. „Heißt das, Wir
haben nur die zweite Wahl bei Uns?“ Der Kanzler wand sich wie ein
Aal und hob zögernd drei Finger. Heinrich starrte Katzenelnbogen
an, als wäre ihm gerade eine riesige Warze gewachsen. Er wollte
etwas sagen, aber aus seiner Kehle kam nicht mehr als ein unwilliger
Grunzlaut. Mit einem Seufzer ließ er sich auf die
Rückenlehne zurückfallen.
„Diese Situation gefällt Uns nicht.“ Entnervt strich sich der König über den Bart.
Diether deutete mit fragendem Gesichtsausdruck auf den Sessel neben
seinem Herrn. Heinrich wedelte ungeduldig mit der Hand. „Ja, ja.
Nun setzt Euch doch. Und reicht Uns den unseligen Brief von
Roger.“ Der Kanzler nahm Platz, überreichte dem König
die Unglücksbotschaft und holte einen großen Bogen Pergament
zu sich, auf dem das Reich der Staufer penibel kartographiert war. Die
dicke Linie zwischen dem Herzogtum Spoleto und den
Fürstentümern Capua, Benevento und Salerno schien vor seinen
Augen mehr und mehr zu wachsen, statt endlich ganz zu verschwinden.
Heinrich war in das Schreiben des Grafen von Andria vertieft. „An
der Reichsgrenze ...“, der König sah auf und tippte auf
Benevento, „... scheint alles ruhig zu sein, aber es gab es
mehrere Zusammenstösse zwischen Unseren Getreuen und den
neuerdings verirrten Seelen in Apulien.“ Der König nahm sein
Getrommel wieder auf. „Wir müssen Unseren treuen Freund
Roger unbedingt unterstützen, damit die Barone gleich in die
Schranken gewiesen werden.“ Heinrichs Blick wanderte die Karte
Richtung Norden hinauf. Er verzog sein Gesicht unwillig und grummelte:
„Doch solange der Löwe nicht wie ein waidwundes Tier in
seiner Höhle verschwindet, können Wir diese Gebiete nicht
verlassen.“ Von Katzenelnbogen räusperte sich. Heinrich hob
den Kopf und sah seinen Kanzler so finster an, dass dieser unruhig hin
und her zu wetzen begann. Der König schnaufte abfällig.
„Ihr kommt Uns jetzt wahrscheinlich wieder mit den gleichen
Einfällen?“, fragte er spitz.
Diether lächelte schwach. „Ja, mein Gebieter. Wenn Ihr den
hiesigen Adel für Euch gewinnen könnt, habt Ihr freie Hand
für Eure Aufgaben in Sizilien.“ Der König zog die
Augenbrauen noch mehr zusammen und presste die Lippen aufeinander.
Seine Miene ließ wenig Zweifel an seiner schlechten Meinung
über die Vorschläge seines engsten Beraters. „Und Ihr,
Kanzler, seid der unumstösslichen Meinung, dass sich der Adel mit
ein paar Zugeständnissen überzeugen lässt und sich gegen
den Welfen stellt?“ Diether rückte sich in seinem Sessel
zurecht und nickte wie ein aufmerksamer Schüler.
„Euer Gegner hat wenig in der Hand, mein Gebieter. Nicht nur,
dass er gegen Reichsrecht verstossen hat und früher aus der
Verbannung zurückgekehrt ist, als es ihm Euer Vater gestattet
hatte. Er kann von allen Seiten nur mit wenig Unterstützung
rechnen. Ihr indes verfügt über einige Privilegien im
Herzogtum, die Ihr nun für Euren Bedarf einsetzen mögt.“
Heinrich verzog das Gesicht, als hätte er Zahnschmerzen.
„Diether!“, herrschte er den Kanzler an. „Ihr wisst
doch, dass es um die königliche Kasse schlecht bestellt ist. Wenn
Wir nun Pfründe an diese Hanswurst-Ritter vergeben, dann trifft
Uns das empfindlich.“
Heinrich hielt seine Hände vor sich wie ein Bittsteller um
Almosen, um seine wirtschaftliche Misere zu unterstreichen. Der Kanzler
presste die Lippen aufeinander und zwang tapfer einen Lachanfall
nieder. Zum einen war Heinrich alles andere als schlecht begütert
und der Adel aus dem Norden war alles andere als eine Truppe von
Jahrmarkttandlern. Ganz im Gegenteil. Wenn alle diese Gefolgsleute
gezielt gegen den Welfen eingesetzt werden konnten, kam das
wahrscheinlich billiger als die Mühe um eigene militärische
Erfolge oder Misserfolge, die in letzter Zeit häufig vorgekommen
waren. Diether beschloss zu schweigen und starrte auf die Landkarte.
Die Strecke zwischen ihrem jetzigen Aufenthaltsort und Palermo, wo die
Könige von Sizilien residierten, war unendlich weit und mit
Hindernissen gepflastert.
Die ganze Reise würde mehrere Monate in Anspruch nehmen. Es
würde nicht genügen bis nach Aquileja in der Mark Verona zu
reisen, um dann ein Schiff nach Palermo zu besteigen. Der König
von Italien, der mit finsterer Miene vor ihm saß, war dazu
verpflichtet, allen wichten Städten Reverenz zu erweisen. Mailand,
Cremona, Parma, Modena, Genoa, Pisa, Florenz ...
Diethers Augen folgten dem vorhersehbaren Zick-Zack-Kurs auf der
Landkarte. Nur mit Mühe konnte er ein Aufstöhnen
unterdrücken.
„Ihr steht Uns nun schon viele Jahr zur Seite.“ Heinrichs
Stimme riss Diether aus seinen Überlegungen. Katzenelnbogen war
sofort auf der Hut. Wollte ihn der König aus seinen Diensten
entlassen? Heinrich lächelte aber milde. „Wir geben gerne
zu, dass Ihr in Euren Einschätzungen nie gefehlt habt. Aber
...“, der König kniff die Augen zusammen, „... Wir
haben auch gelernt, dass sich Uns Eure Gedanken offenbaren, wie ein
plapperndes Weib!“ Heinrich hob seine Augenbrauen und schenkte
seinem Kanzler einen belustigten Blick. Diether war knallrot angelaufen
und wusste nicht, ob er sich ärgern oder beleidigt sein sollte.
Der junge König lachte schallend. Er beugte sich vor und zog die
Karte zu sich. Über den Ländereien, die sich seiner
Herrschaft noch entzogen, spreizte er die rechte Hand. „Wir
wissen selbst, dass Wir wahrscheinlich jede Gott verdammte Stadt
erobern müssen.“ Heinrich lehnte sich zurück und blies
die Luft aus. „Das kann lange dauern ...“ Der König
brach den Satz ab und behielt den Rest für sich. Noch war die Zeit
nicht gekommen, jemanden in seine weitreichenden Pläne
einzuweihen. Heinrich war felsenfest davon überzeugt, dass er der
lang herbeigesehnte Friedenskaiser war. Es war seine erlauchte Aufgabe,
alle Reiche des Ostens und des Westens wieder zusammenzuführen.
Alle Juden würden unter seiner Führung zum Christentum
bekehrt und die Heiden im Heiligen Land endgütlig besiegt. Alle
Völker würden zu ihm aufblicken, während er die
Menschheit auf die Ankunft des Jüngsten Gericht vorbereitete und
Palermo war der Sitz, den er sich für seine Weltherrschaft
auserkoren hatte.
Mit einiger Mühe zwang Heinrich seine Gedanken zurück in die
Gegenwart. „Wie weit ist Unser Marschall mit seinen
Aufgaben?“, fragte der König ohne den Blick von der
Küste Nordafrikas und Byzanz zu nehmen. Der Kanzler hatte sich
wieder im Griff und antwortete mit fester Stimme: „Marschall
Testa ist mit dem Abbau der letzten ... äh ... Belagerung fertig
und wartet auf Eure Befehle.“ Heinrich knirschte verärgert
mit den Zähnen. Nun waren seine Gedanken endgültig
zurück bei den dringendsten Angelegenheiten: der Welfe. Heinrich
war der Erzfeind des Kaisers und der allgegenwärtige Albtraum des
Staufergeschlechts. Er ließ keine Gelegenheit aus, seine
angeblichen Ansprüche auf den Reichsthron anzumelden. Widerwillig
musste Heinrich seinem Kanzler Recht geben. Wenn er den Adel auf den
Welfen hetzte, konnte er sich wieder seinen höheren Zielen widmen,
anstatt sich hier im kalten Norden herumzuärgern. „Sollen
doch die anderen die Drecksarbeit machen“, murmelte Heinrich vor
sich hin. Der Kanzler schreckte auf. „Verzeiht, mein Gebieter.
Ich habe Euch nicht recht verstanden.“
Der König lachte leise. „Doch, doch. So glauben Wir.“
In seinen Augen blitzte es auf. „Hier also Unser Beschluss in
Vertretung Unseres Vaters, des erlauchten Kaisers: Nehmt Kontakt zu den
in Frage kommenden Adeligen auf ...“, Heinrich wartete bewusst
ab, um zu sehen, wie breit das Grinsen seines Kanzlers ausfiel,
„... und gewinnt sie für Unsere Seite. Unserem treuen Freund
Roger schicken wir Heinrich Testa mit einem kleinen Aufgebot zur
Unterstützung. Wir sind sicher, dass der werte Marschall den
Winter lieber in wärmeren Gefilden zubringt. Wir dagegen begeben
uns nach Augsburg, wo Wir mit Sicherheit Leute erster Wahl finden, die
Uns nach Sizilen begleiten.“ Mit einer leichten Bewegung der
linken Hand entließ König Heinrich seinen Kanzler.
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