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Die Schmiedin



Die Schmiedin

von Eva-Maria Haynes

Leseprobe aus Kapitel 2

Copyright beim Verlag



„Vater“, Agnes unterbrach ihren Vater bei seinen Überlegungen. Abrupt drehte sich der Graf um. Die junge Frau zuckte erstaunt zusammen. „… ihr habt nach mir schicken lassen?“, ergänzte sie unsicher. Als sie die Miene ihres Vaters sah, waren alle Gedanken, die sie sich an diesem Morgen über das Gespräch mit ihm gemacht hatte, wie eine Seifenblase zerplatzt. Sie spürte wie sich ein Kloß in ihrer Kehle festsetzte. Endlich, hatte Agnes sich ausgemalt, endlich würde er ihr den Ehemann zu erkennen geben, den er für sie ausgesucht hatte. Sie war schon fast sechzehn, ein Alter, zu dem jede junge Frau aus gutem Hause unter der Haube war und ihrem Ehemann den erhofften Erben geschenkt hatte.
Steif ging sie durch den Raum und nahm auf dem Sessel beim Kamin Platz, wo ihr Vater stumm hingezeigt hatte. Sie zitterte, doch nicht vor der Kälte, die schon seit Wochen in der ungeheizten Burg festsaß. Ihr ganzes Inneres schrie auf. Sie spürte instinktiv, dass sie das, was ihr Vater jetzt zu ihr sagen würde, nicht hören wollte. Doch ihre gute Erziehung zwang sie, sittsam mit kerzengeradem Rücken an der vorderen Stuhlkante sitzen zu bleiben.
Mit einem Seufzen ließ sich der Graf in den Lehnstuhl gegenüber sinken. Lange, viel zu lange für Agnes starrte er in die nicht vorhandenen Flammen im Kamin.
„Mein liebes Kind …“, die Stimme ihres Vaters war kaum zu hören, „… du musst von hier fort …“
Agnes holte hörbar Luft. Sie konnte die Spannung nicht ertragen. Noch konnte sie an sich halten, um nicht aufzuspringen und den alten Mann zu schütteln, damit sie endlich Gewissheit über ihre Zukunft bekäme. Im Geiste schrie sie ihn an. All die Stunden, Wochen, Monate, Jahre, die sie mit Stickerei, höflicher Konversation, Lautespiel, Pflege des Kräutergartens für die Hausapotheke und dekorativem Herumsitzen bei Besuchen verbracht hatte, schleuderte sie ihm in ihren Gedanken ins Gesicht. All das wofür?
Wie in einem Fieber rasten ihr die Vorwürfe durch den Kopf. Sie krallte die Finger so fest in die hölzerne Lehne des Sessels, dass es schmerzte. Wie in einem Echo hallten ihr die Worte der Gouvernante durch den Kopf, „Haltung bewahren, Kind, Haltung bewahren“.
Plötzlich musste sie husten. Ihr Körper rebellierte gegen den Kloß in ihrem Hals und wollte den Druck der letzten Jahre ausspeien. Der Graf schreckte hoch.
„Alles in Ordnung?“
Agnes gelang ein leichtes Nicken. Ihr Vater gab sich einen Stoß und setzte zu seiner Rede an.
„Es ist ein offenes Geheimnis, dass Enigor am Ende ist. Wir haben jeden verfügbaren Mann in den Kampf geschickt. Auf den Feldern verkommen die Ernten, in den Dörfern herrscht Hunger und Elend, in den Wäldern wüten Wölfe und Wildschweine, weil keiner mehr da ist, sie zu jagen …“
Der alte Graf rückte sich im Sessel zurecht, so als würde der Albtraum auf der anderen Lehne vielleicht geringer sein. Agnes starrte ihn an. Müde fuhr ihr Vater fort.
„... in ein paar Tagen wird der Graf von Ald die Grenzen stürmen und in noch kürzerer Zeit die Burg erobern.“
Mit Tränen in den Augen sah er seine Tochter an.
„Du musst fort von hier …“, wiederholte er die Worte, mit denen er begonnen hatte.
Agnes verlor die Fassung. Sie warf sich auf die Knie und grub den Kopf in den Schoß ihres Vaters.
„Was wird aus mir?“, stammelte sie. „Und was wird aus euch?“
Zögernd strich der Graf über den Schleier seiner Tochter. Kurz überlegte er, ob er ihr einen Hoffnungsschimmer schenken konnte, aber es fand sich nichts.
Mit leiser Stimme schilderte er Agnes, was auf sie zukommen sollte. Noch in dieser Nacht würde ein kleines Grüppchen von nun heimatlosen alten Männern, Frauen und Kindern nach Landrion aufbrechen, um dort in einem der Dörfer Aufnahme, Schutz und Nahrung zu finden. Agnes sollte als Bauersfrau getarnt eine von ihnen sein und bis zum Fürstensitz von Landrion weiterreisen, wo sie sich unter den Schutz von Fürst Martin begeben sollte. Das sei noch das beste Schicksal, das der Graf seiner Tochter anbieten könne. Einen Brief solle sie mitbekommen, mit der höflichen Bitte, Agnes als Mündel zu akzeptieren bis ein Ehemann gefunden werden konnte, der die Pflicht für sie zu sorgen gerne übernehmen wollte.
Agnes spürte die Hand ihres Vaters unter ihrem Kinn. Sanft hob er ihren Kopf und suchte Blickkontakt. Eindringlich sprach er weiter.
„Heute Nacht wirst du diese Burg verlassen – als eine Frau aus dem Volk. Enigor wird aufhören zu existieren und damit alle Titel und Ländereien. Ich will Fürst Martin eindringlich bitten, jemanden für dich zu finden, der zumindest bei Hofe dient, einen Ritter vielleicht, wenn Fortuna ihren Segen dazu spendet, aber versprechen kann ich dir nichts. Du wirst seinem Gutdünken ausgeliefert sein.“
In diesem Augenblick hasste Agnes ihren Vater, ihr bisheriges unnützes Leben ohne Eigenbestimmung – immer dem Willen von jemand anderem ausgeliefert – und sie hasste sich. Was konnte sie? Welche Fähigkeit hatte sie, um alleine zu überleben?
Wie in Trance sah sie durch ihren Vater hindurch. Auf ihren Lippen formten sich Worte, die nicht dem entsprachen, was sie dachte.
„Ja, Vater, wie ihr wünscht.“
Langsam stand sie auf und wandte sich zur Tür.
„Kann ich etwas von meiner Habe mitnehmen?“
„Nichts was dich zur Tochter eines Grafen macht“, kam die knappe Antwort.