editio historiae
Zeit
zum Träumen / Zeit für Spannung / Zeit für
ein gutes Buch

Oh, süßer Klang
von Beata Solanger
Leseprobe aus Kapitel 1
Copyright
beim Verlag
Mit
betont gelangweilter Miene steckte Frieda eine Haarlocke in ihrer
Frisur fest. „Und hat er wieder das Porträt
angestarrt?“ Sie sah in den Spiegel und würdigte den
Kammerdiener ihres Schwiegervaters keines Blickes.
Emil Pohanka nickte eifrig. „Ja, fast den ganzen Vormittag,
Baronin. Wie es scheint, hat der gnädige Herr die Hoffnung nicht
aufgegeben.“
Frieda presste verärgert die Lippen zusammen. Doch sie ließ
sich nur kurz gehen. Schon einen Wimpernschlag später
glätteten sich ihre Züge wieder. Um jeden Preis wollte sie
ihren beginnenden Fältchen Einhalt gebieten. Mit einer
geübten Bewegung klappte sie ihre Reispuderdose auf. „Du
weißt, was das bedeutet, wenn mein Mann dem Baron nicht als sein
Erbe nachfolgt?“
Der lang gediente Kammerdiener schlug die Augen nieder. „Ja, Frau Baronin. Ich denke schon.“
Wütend drehte sich Frieda zu Pohanka um. „Nein, du
weißt gar nichts. Du weißt nicht, wie es ist, von einem
unbedeutenden Einkommen leben zu müssen, das dich in die
Verbannung auf irgendeinen Landsitz in der Provinz zwingt. Ohne
Einkaufsmöglichkeiten, ohne gesellschaftliche Kontakte und ohne
jegliche Aussicht auf Zerstreuungen. Das Mittagessen mit dem
Dorfpfarrer gilt dort schon als Sensation!“ Frieda drehte sich
wieder zu ihrer Psyche, aber sie änderte ihren Blickwinkel auf den
Spiegel und fixierte den Dienstboten. „Für deine Sorte sieht
es nicht viel besser aus.“
Diesmal gelang es Frieda nicht rechtzeitig, den bitteren Zug um ihren
Mund zu verbannen. Sie sah Pohanka mit eisigem Blick an. „Rede
ihm diesen Glauben an eine“, Frieda würgte das nächste
Wort fast hervor, „Genesung von Thaddäus doch endlich
aus!“ Sie knallte den Deckel ihrer Puderdose aufgebracht zu.
„Es ist doch nun schon über zwei Jahre her, dass der Baron
seinen Sohn auf das Landgut in Keszthely geschickt hat.“ Frieda
verdrehte die Augen. „Als ob der Plattensee etwas gegen diese
schwere Form der Melancholie ausrichten könnte.“ Sie sprang
heftig von ihrem Schemel auf und ging aufgebracht in ihrem Boudoir hin
und her. „Gabriel wird meinem Schwiegervater nachfolgen. Er hat
Karl nicht so wie Thaddäus enttäuscht. Und er versteht das
Geschäft so gut wie jeder andere.“
Friedas höchstes Ziel war es, dass die Belieferung der gesamten k.
k. Armee mit Unterbekleidung für die Soldaten in die richtigen
Hände ging. Wenn man in naher Zukunft vom
„Wäschebaron“ sprach, sollte Gabriel von Tiefenthal
damit gemeint sein und nicht mehr Karl oder — Gott bewahre sie
vor diesem Schicksalsschlag — Thaddäus.
Der Kammerdiener hob verzweifelt die Schultern. In seinem Kopf rasten
die Gedanken. Was sollte er sagen, ohne den zweifelhaften Charakter des
Ehemanns der Baronin ins Spiel zu bringen? Der gnädige Herr
jammerte täglich mehrmals über die Eskapaden und den
verschwenderischen Lebensstil seines jüngeren Sohnes Gabriel und
dessen Frau.
Baron Karl Ernst von Tiefenthal bereute den Bruch mit seinem Erben
bitterlich und hatte sich die Rückkehr von Thaddäus zu seiner
letzten Lebensaufgabe gemacht.
zog angewidert das Gesicht. Bilder von wild tanzenden, teuflisch
aussehenden Kreaturen störten seinen Schlaf. Das rhythmische
Schlagen einer Trommel verstärkte die Eindrücke. Die
Gerüche der Hölle stiegen ihm stechend in die Nase. Joseph
zuckte mit dem Kopf, doch die Bilder und der Gestank wollten nicht
weichen. Unruhig wälzte er sich auf seinem Kopfkissen hin und her.
Es nutzte nichts. Unwillig schlug er die Augen auf und blickte in den
Schlund Luzifers.
„Ach, Büdi!“ Joseph drehte sich mit einem
Aufstöhnen vom offenen Maul seines Hundes weg, der ihn freundlich
anhechelte und dabei mit seinem wedelnden Schwanz gegen Josephs
Nachttisch klopfte.
„Ab heute kriegst du keine Kutteln mehr!“
Der junge Lafarche tätschelte seinem Tier den Kopf und tastete
nach seiner Taschenuhr. Im schwachen Morgenlicht entzifferte er
mühsam den Stundenzeiger. Mit einem resignierten Seufzer legte
Joseph die Uhr zurück.
„Du weißt schon, dass ich früher um diese Zeit ins Bett gegangen bin.“
Büdi war wenig beeindruckt. Er stupste seinen Herrn an und drehte
sich erwartungsvoll zur hohen Flügeltür, die durch mehrere
Kratzspuren gelitten hatte.
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